Helfen, ohne zu fragen: Wem? 
Barbara Schmid-Federer beim Dies academicus 2022  

Zahlreiche Gäste aus Kirche, Gesellschaft und Politik kamen am Montag, 24.10.2022, in der Aula der Theologischen Hochschule Chur zum Dies academicus des Studienjahrs 2022/23 zusammen. Die Musikerin Martina Berther aus Chur verzauberte mit ihren E-Bass-Klängen das Publikum und sorgte für eine angesichts des Themas durchaus berechtigte Nachdenklichkeit.

Zu Beginn der akademischen Feier beschrieb die Prorektorin und geschäftsführende Leiterin der Hochschule Prof. Dr. Eva-Maria Faber aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen der TH Chur und berichtete vom laufenden Akkreditierungsverfahren durch die Schweizerische Hochschulkonferenz. Zahlreiche Kräfte seien im Rahmen der Zertifizierung durch die AAQ gebündelt worden, um die Sicherung und Entwicklung der akademischen Qualität zu gewährleisten.

Die Festansprache hielt die Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes, Barbara Schmid-Federer. Sie setzte ein bei der Gründungsgeschichte des SRK auf den Schlachtfeldern von Solferino 1859 und zog von dort aus einen symbolischen Bogen zu einem Bild von Papst Franziskus, der die Katholische Kirche mehrfach mit einem « Feldlazarett» verglichen hatte. Einerseits beschäftigten Missbrauchsfälle die Öffentlichkeit und der synodale Prozess wolle Reformen anstossen. Dabei müsse die Kirche andererseits aufpassen, dass sie nicht die existenzielle Not der Menschen und ihre diakonische Existenz aus den Augen verliere, so Schmid-Federer.

In einem kurzen historischen Abriss portraitierte die alt Nationalrätin den Genfer Kaufmann Henri Dunant, dessen Gründungsidee gerade unter dem Eindruck verfeindeter Kriegsparteien immer gewesen sei, dass jeder Mensch ohne Ansehen der Person die Hilfe des Roten Kreuzes verdient habe. « Helfen ohne zu fragen wem“ sei seitdem die Devise des Internationalen Roten Kreuzes (IRK), das weltweit 80 Millionen Mitglieder zähle. Das Rote Kreuz sei politisch und religiös neutral: «Nur die Tat der Hilfe ist entscheidend, nicht die Herkunft des Opfers.»

Federer, die an den Universitäten Zürich und Paris Romanistik studierte und von 2007 bis 2018 für die CVP politisierte, stellte das biblische Gleichnis vom Barmherzigen Samariter in die Mitte ihrer Überlegungen. Sie legte es im Sinne des universalen humanitären Hilfsprinzips aus, dem sich das Rote Kreuz verschrieben hat: «Alle haben die gleichen Rechte auf Hilfe.» Egal, ob es sich dabei beispielsweise um Flüchtlinge aus der Ukraine oder aus Afghanistan handelt. Damit versuchte sie auch das Gespenst einer immer wieder heraufbeschworenen «schleichenden Islamisierung» Europas und der Schweiz durch Flüchtlinge zu entkräften. Heute seien die katastrophalen Folgen des Klimawandels die modernen «Schlachtfelder». Federer beendete ihre Rede mit einem eindrücklichen Zitat, das auch etwas von den religiösen Wurzeln des Rotkreuz-Gründers Henri Dunant spüren lässt: «Car nous naissons tous ouvriers de cette grande cité de Dieu qui s’appelle l’humanité: Wir werden alle geboren als Arbeiter in dieser grossen Stadt Gottes, die heisst ‹Menschlichkeit›».

Zum Text des Vortrags von Barbara Schmid-Federer 

Rektor Prof. Dr. Christian Cebulj nahm anschliessend die Prämierung der Preisträgerinnen des Churer Maturapreises für Religion 2022 vor. Dabei wurden vier junge Frauen für ihre Arbeiten prämiert. Yasmina Mark (Literargymnasium Rämibühl ZH) erhielt den ersten Preis für ihre Recherche «Durch Adoption zur Familie», die ethnische Herkunft, Religion und Geschlecht als Ursachen von Rassismus benennt, mit denen Adoptivkinder konfrontiert werden. Lena Köhre (Bündner Kantonsschule) kam mit ihrem Beitrag zu den Positionen verschiedener Religionen zur Organspende auf den zweiten Platz. Den dritten Preis erhielten Alessia Alig und Fiona Bugmann (ebenfalls Bündner Kantonsschule) für ihre Arbeit über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Jugendliche.

Am Ende der Feier stand das Grusswort von Bischof Dr. Joseph Maria Bonnemain, der auch Grosskanzler der Theologischen Hochschule ist. Darin strich er die Bedeutung der Apostolischen Konstitution «Veritatis Gaudium» für eine integrale Entwicklung der Theologischen Fakultäten heraus. Papst Franziskus gehe es um den interdisziplinären Dialog der Theologie mit allen Wissenschaften, die zum Aufbau einer Kultur der Humanität und Geschwisterlichkeit beitragen. Diesen Anspruch möge sich die Theologische Hochschule Chur auch in Zukunft immer wieder stellen. Im Anschluss an die akademische Feier wurden die Themen des Abends in geselliger Runde beim Apéro riche weiter diskutiert.