Churer Maturapreis 2020

Die diesjährigen eingesendeten Maturaarbeiten
für den Churer Maturapreis für Religion
waren auf sehr gutem Niveau

Aufgrund der Covid-19 Pandemie entschieden im Frühjahr 2020 manche Kantone, die Maturierenden nicht für die Abschlussprüfungen aufzubieten. Eine geschenkte Matura für den Abschlussjahrgang 2020 also? Mitnichten! Die diesjährigen eingesendeten Maturaarbeiten für den Churer Maturapreis für Religion waren auf sehr gutem Niveau. Da eine Arbeit gar überragend war und eine weitere von der Jury als ausgezeichnet gewertet wurde, entschied sich die Jury, den ersten Preis doppelt zu vergeben: Nadine Jabornegg von Wilen b. Wil und Flurin Jacomet von Tujetsch GR erhalten den mit je 500 CHF dotierten 1. Preis. Der zweite Platz geht in diesem Jahr an Florian Hellwig aus Neftenbach.

Prof. Hildegard Scherer und Prof. Hanspeter Schmitt hatten sich mit den drei Siegermaturaarbeiten befasst und stellen diese je in einer kurzen Laudatio vor:

In Experts we trust

Nadine Jabornegg (Kantonsschule Wil) geht mit ihrer in Englisch verfassten Arbeit “In Experts we trust. How the Way We Form Beliefs in Everyday Situations Correlates with our Trust in Expert Testimony” neue Wege der “experimentellen Philosophie”. Dabei wählt sie Klimawandel und Impfkontroverse als gesellschaftlich relevante Ausgangspunkte. Sie fragt, wie Überzeugungen zustande kommen: welche Rolle dabei Expertenaussagen spielen, und wie sich dies zur Entstehung von Alltagsüberzeugungen verhält. Zunächst analysiert Frau Jabornegg, mit Rückgriff auf englischsprachige Fachliteratur, die Bedingungen für berechtigtes Vertrauen in Aussagen und die Rolle von Expertise. Dann prüft sie ihre Fragestellungen mit einer breit angelegten und umsichtig ausgewerteten Befragung. Die komplexen Konstellationen in einen gut verständlichen Fragebogen herunterzubrechen ist allein schon eine beachtliche Leistung. Doch beherrscht Frau Jabornegg ebenso die scharfe Analyse wie die glasklare Darstellung ihrer Inhalte. (Prof. Hildegard Scherer)

Flurin Jacomet zielt darauf,
die von Hannah Arendt entwickelte Theorie
der „Banalität des Bösen“ sozialpsychologisch zu differenzieren

Die Maturaarbeit von Flurin Jacomet (Gymnasium Kloster Disentis) zielt darauf, die von Hannah Arendt entwickelte Theorie der „Banalität des Bösen“ sozialpsychologisch zu differenzieren. Anlass für Arendt ist bekanntlich ihre Beobachtung des Nazi-Funktionärs Adolf Eichmann in seinem Jerusalemer Prozess der 1960-er Jahre. Die Differenzierung ihrer Theorie will Jacomet unter Anwendung von Albert Banduras sozialpsychologischer Theorie des „Moral Disengagement“ erreichen, die 1996 publiziert worden ist. Bandura und seine Mitarbeiter untersuchen darin verschiedene Faktoren bzw. Strategien, eine offensichtlich gegebene Schuld und Verantwortung abzuschwächen oder gar zu verneinen. Bei dieser Interpretation von Arendts Beschreibung geht Jacomet äusserst umsichtig und informiert vor. Er stellt entlang zielführender Stichworte den soziohistorischen Kontext der NS-Zeit vor und darin die Person Eichmanns bis zu seinem besagten Prozess. Dann erläutert er die Theorie des Moral Disengagement in allen sie bezeichnenden Faktoren, um sie schliesslich mit der Arendt´schen Dokumentation ihrer Eichmann-Erfahrungen zu identifizieren. Am Ende dieses beeindruckenden Gangs stehen sozialpsychologische Schlussfolgerungen für eine vertiefte Theorie der Banalität des Bösen. (Prof. Hanspeter Schmitt)

das seit Jahrhunderten philosophisch bewegende
Leib-Seele-Problem

Der 2. Platz (300 CHF) ging an Florian Hellwig (Kantonsschule Rychenberg) aus Winterthur. In der Maturaarbeit von Florian Hellwig geht es um das seit Jahrhunderten philosophisch bewegende Leib-Seele-Problem. Dabei wählt er – mit besonderem Schwerpunkt auf René Descartes („Cogito, ergo sum“) – die anspruchsvolle erkenntnistheoretische Linie dieser Fragestellung: wie hängen „Seele“ (als Erkenntnisvermögen) und „Leib“ (als zu erkennender Körper) zusammen? Gibt es die erkannte Wirklichkeit/Körperlichkeit materialiter überhaupt, oder gibt es nur reine materiefreie Erkenntnis? Hellwig krönt seinen wissenschaftsgeschichtlichen Durchgang mit einer eigenen Spekulation, die auf sein kreatives Potential in dieser rein begrifflich nicht lösbaren Materie schliessen lässt. (Prof. Hanspeter Schmitt)

Der diesjährige Churer Maturapreis für Religion wurde durch die grosszügige Unterstützung der Stiftung St. Martin und der Kirchgemeinde Illnau-Effretikon ermöglicht.