Zehn Jahre Seenotrettung und kein Ende in Sicht?
Wissenschaftscafé der TH Chur

Kaum ein Thema polarisiert in der Politik so stark wie die Migrationsdebatte. Sie ist häufig ideologisch aufgeladen und kreist um den Gegensatz zwischen Kontrolle und humanitärer Verantwortung: Ängsten vor Missbrauch, sozialen Belastungen und Kriminalität stehen Forderungen nach Solidarität und Einhaltung der Flüchtlingskonvention gegenüber. Auch in den Kirchen wird das Engagement in der Asylfrage diskutiert. Das zeigte die prominent besetzte Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe „Wissenschaftscafé Graubünden“, zu der die Theologische Hochschule Chur am Donnerstag, 30.10.2025 in den Kulturpunkt Planaterrastrasse eingeladen hatte.

Unter dem Motto „Zehn Jahre Seenotrettung und kein Ende in Sicht?“ berichtete zunächst Anja Bohnsack, Regionaldirektorin SOS Méditerranée  Schweiz (Basel) über die aktuelle Situation auf dem Mittelmeer. Mit dem Rettungsschiff Ocean Viking hat SOS seit Beginn der Einsätze im Jahr 2016 über 40.000 Menschen aus Seenot retten können. Bohnsack verglich die Zahl der Geretteten mit der Einwohnerzahl von Chur und unterstrich, dass rein rechnerisch einmal die Stadt Chur von SOS Méditerranée gerettet worden sei. Ein kurzer Film erzählte die wichtigsten Fakten zu Rettungsaktionen.

Kishor Paul, Fachexperte Asyl/Migration bei Amnesty International Schweiz (Bern) bezeichnete den Seeweg als die tödlichste Migrationsroute der Welt. Ob das die Flucht der aus religiösen Gründen verfolgten Rohingya von Myanmar über den Golf von Bengalen nach Indonesien sei oder die Flucht von Menschen aus dem Sudan, Syrien oder dem Kongo über das Mittelmeer nach Europa. Weil sichere und legale Wege fehlten, um in Europa Asyl zu beantragen, würden Menschen die gefährliche Flucht über das Mittelmeer wählen.

Der Historiker Dr. Jonathan Pärli von der Universität Basel hatte 2024 seine Dissertation zum Thema „Die andere Schweiz. Asyl und Aktivismus 1973-2000“ veröffentlicht. Er betonte, dass die Flüchtlingsbewegungen über das Mittelmeer im Moment so zur Ruhe gekommen seien, weil die Europäische Küstenwache Frontex mit hohen Summen an EU-Geldern illegale Einreisen effizient verhindere. Während zwischen den EU-Mitgliedstaaten – und seit ihrem Beitritt zu Schengen/Dublin auch zwischen der Schweiz und der EU – die Grenzkontrollen abgeschafft wurden und der Grundsatz der Freizügigkeit für BürgerInnen Europas gelte, werde der Raum nach Aussen hin durch die Frontex abgeschottet. Pärli hob den Wert rechtsstaatlicher Standards in der Schweiz und der EU hervor, während in den USA zu beobachten sei, dass diese mit einem Fuss im Faschismus stünden.

Der Jesuit Dr. Christoph Albrecht aus Zürich, der sich seit vielen Jahren beim Jesuit Refugee Service Schweiz am Zürcher Flughafen Kloten engagiert, warnte davor, dass christliche Solidarität zunehmend kriminalisiert werde. Er wies auf die nicht leicht auflösbare Spannung zwischen staatlicher Souveränität und globaler Gerechtigkeit hin und erinnerte an die positiven Erfahrungen mit dem Kirchenasyl der zurückliegenden Jahrzehnte.

Die lebhafte Diskussion mit den ca. 50 anwesenden Gästen im Kulturpunkt stellte unter Beweis, wie wichtig die Thematik auch zehn Jahre nach Beginn der ersten Aktionen der Seenotrettung weiterhin ist. Moderator Prof. Dr. Christian Cebulj bedankte sich in besonderer Weise bei deiner Schulklasse der Evangelischen Mittelschule Schiers, die zusammen mit ihrem Lehrer zur Podiumsdiskussion gekommen war und sich lebhaft an der Diskussion beteiligte.